Running

On this page, you will find a report about each marathon run, I have participated yet (under construction); written in English or in German - depending on the country of the event.

Because a part of the photos and charts are shown in a very wide scale, please centre this text first, using the blue, horizontal scroll bar below. Then you can comfortably read by moving the vertical scroll bar downwards. Have fun!


Auf dieser Seite gibt es einen Laufbericht für jeden einzelnen Marathonlauf, an dem ich bislang teilgenommen habe (in Vorbereitung). Der jeweilige Bericht ist entweder in Englisch oder auf Deutsch geschrieben - je nachdem, in welchem Land ich gelaufen bin.

Da z.T. sehr breite Fotos und Abbildungen zu sehen sind, bitte zunächst diesen Text mit dem unteren, horizontalen, blauen Schieber zentrieren und dann mit dem vertikalen Schieber Stück für Stück herunterscrollen, um es komfortabel lesen zu können. Viel Spass!

 


10.) Jubiläumslauf in Bremen (19.09.2010)


© Roland Stern 2010

Ein Bericht zu meiner 10. Teilnahme in der Königsdistanz des Langstreckenlaufs sollte natürlich nicht fehlen. Nun mal wieder auf Deutsch, da ich zurück in Deutschland bin. Zum ersten mal möchte ich den Bremen-Marathon (6. Swb-Marathon) laufen – naheliegend, denn dies ist meine alte Wahl-Heimat und nun wohne ich wieder hier.

Vorgenommen habe ich mir wie immer, meine Bestzeit zu verbessern, doch in welchem Zeitensprung das möglich sein wird, das lasse ich in weiser Voraussicht – um jeglicher Selbst-Enttäuschung vorzubeugen lieber in den Sternen. Ich habe zwar erneut (zum vierten mal, glaube ich) den Trainingsplan von Herbert Steffny für die Zielzeit 3:15 h erfolgreich abgespult ("Das Große Laufbuch", Herbert Steffny, München 2008, S. 208-209), doch bei den für mich extrem schnellen Testläufen dieses Plans, über die Distanzen 10 km und Halbmarathon, fiel es mir diesmal unerwartet schwer, den Plan zu erfüllen. Auch habe ich mich ausgerechnet für den 10. Marathonlauf in den diesmal ganz schön lang erscheinenden 10 Trainingswochen nicht so besonders übermotiviert erlebt – ernährungsmäßig nicht und schlafmäßig nicht, sprich, ich habe zu oft zu viel Kuchen gegessen und lange Partynächte genossen oder beides zugleich: auf Parties zu viel Kuchen gegessen, und das rächt sich natürlich hinsichtlich einer neuen, spektakulären, persönlichen Bestzeit – also akzeptiere ich diesmal das Motto, nur nicht zu viel zu erwarten ... Dennoch freue ich mich sehr auf diese Strecke durch die vielen mir so vertrauten Stadtteile in dieser schönen, bunten Stadt.

Ein Marathonlauf in der Stadt, in der du wohnst, ist eigentlich das Beste, was dir passieren kann: Du kannst in deinem eigenen Bett so lange wie möglich auspennen, kennst Dich aus mit den Straßen und Parkplätzen und bist daher vor dem Start besonders entspannt. Dementsprechend optimal läuft auch das gesamte Timing an diesem frühen Septembersonntagmorgen, bis ich pünktlich um zwanzig vor neun am atmosphärischen Bremer Marktplatz an der Startlinie stehe – genau so, dass ich in den minimierten Laufklamotten auch nicht allzu lange frieren muss ... Wirklich Klasse, hier zwischen dem Weltkulturerbe des wunderschönen, historischen Rathauses und der großen Steinstatue des Bremer Roland zu starten – demjenigen Monument, dem ich meinen mir selbst sehr liebgewonnenen Vornamen verdanke, denn in dieser hübschen Stadt hatten sich meine Eltern einst kennen gelernt und hier heißt ja alles Roland: Rolandstraße, Roland-Klinik, Roland-Center, Roland-Funktaxis, sogar die Polizeiwagen rufen sich mit Roland 4, Roland 17 usw. ...

Zuerst erleben wir den Start der Halbmarathon-Läufer/innen. Dann die gewohnte, von Spannung, guter Laune und viel Stolz durchsetzte Stimmung vor dem Start. Ich bin ausgeschlafen, Kleidung und Ausrüstung erscheinen perfekt vorbereitet, es ist bewölkt, aber völlig trocken, nicht zu warm und nicht zu kalt – alles optimal. Ganz vorne vor der Linie positionieren sich die zwei einzigen diesjährigen Rollstuhlmarathonis. Sie werden nun noch offiziell gewarnt vor den Gefahren der längs verlaufenden Straßenbahnschienen.




Der Startschuss. Großer Jubel, allgemeines Triumphgefühl. Ich fühle zugleich Erleichterung und Stolz darüber, dass die lange, harte und intensive Trainingszeit in diesem Moment endlich ein Ende gefunden hat und ich mir „Recht“ und Befähigung erarbeitet habe, hier heute vorne mitzulaufen. Sicherlich sind die Gefühle dieser Art beim Start und natürlich diejenigen nach dem Zieleinlauf mit die intensivsten erfahrbaren Glücksgefühle bei einem Marathonlauf.


Zunächst geht es Richtung Norden durch die lange Obernstraße – die Hauptgeschäftsstraße Bremens. So cool, wie irgend möglich, bremse ich mein Tempo kolossal, denn ich weiß inzwischen sehr genau: Was hier in der Anfangseuphorie an Tempo überzogen wird, wird totsicher am Ende eines langen Marathonlaufes, wenn du es wirklich brauchst, an Energie fehlen und zum Absturz oder gar Abbruch – oder eben spazierengehen führen.

Am Brill dann ein scharfes U zurück in die Martinistraße. Dann bin ich echt stolz, dass es mir – soweit ich mich erinnern kann zum ersten mal in einem Marathonlauf gelungen ist, exakt auf den Zeigerschlag und keine Sekunde zu früh nach der ersten km-Marke an der Martinikirche vorbei zu laufen. Jetzt geht es noch einmal zurück Richtung alte Polizeiwache und am Wall entlang. Das haben sie geschickt gemacht mit der Streckenführung, denn so bleiben wir ja erstmal in der Innenstadt und viele Schaulustige können hier anfeuern und jubeln ... Schließlich ein Bogen nach links, zurück Richtung Brill und über die Weserbrücke Richtung Neustadt.Vor mir läuft ein kleinwüchsiger Mann – Donnerwetter, was für eine Beinarbeit – Mann, ist der schnell! Dennoch (Stolz ...) passiere ich ihn langsam. Nach der Brücke geht’s bald wieder Richtung Süden, vorbei an der Hochschule, dem tollen Gebäudedenkmal des alten Wasserwerkes, das die Bremer/innen „umgedrehte Kommode“ nennen; ich finde, es sieht aus, wie Dagobert Ducks Geldspeicher. Und weiter vorbei am berühmten Café Sand Richtung Süden. Nun ist schon sehr deutlich, wie abwechslungsreich diese Strecke ist. Das der Zielzeit von 3:20 hentsprechende Tempo von 4:48 min/km mache ich völlig mühelos. Beängstigend ist eher, dass ich nun konsequent 15 sec pro km zu schnell bin und das pendelt sich nach vier weiteren Kilometern so ein, dass ich ab dann kontinuierlich eine volle Minute zu früh an der jeweiligen Kilometermarke durchlaufe. Theoretisch weiß ich ja,  dass das gefährlich ist. Andererseits ist es natürlich auch ein gutes Gefühl, einen solchen Zeitpuffer zu haben und heute scheint es einfach sooo gut zu laufen – ich fühle mich glücklicherweise wirklich richtig toll fit. Nun geht’s für einige Kilometer südlich Richtung Schrebergartensiedlung – ein völlig anderes Streckenbild und jetzt sind wir schon quasi in der ruhigen Natur. Eine Schleife führt uns ein Stück zurück, entlang am Ufer des Werdersees und über eine kleine Brücke über die Kleine Weser. Weiter geht’s am anderen Ufer entlang über den Habenhauser Deich und vorbei am Friedhof Huckelriede. Bei km 10 registriere ich erfreut, dass es mich bis jetzt Null angestrengt hat – ich habe noch nicht einmal das Gefühl, bislang überhaupt geschwitzt zu haben. Doch ich weiß natürlich, dass ich noch einen langen Weg vor mir habe und dass es noch ganz anders kommen wird ... Am Ende von Habenhausen, etwa bei km 12, spüre ich zum ersten mal einen leichten, warnenden Druck in der Beinmuskulatur. Und jetzt kommt Stress auf, da offensichtlich Schweiß am linken Unterarm (also doch!) die Druckertinte meiner vor dem Armgelenk herumgetackerten Zeittabelle auflöst und unleserlich macht. Shit! Ohne diese Tabelle wäre eine gewünschte Endzeit praktisch nicht machbar ... ich würde jede zeitliche Orientierung im weiteren Verlauf des Rennens verlieren. Und diesmal habe ich keine Ersatztabelle dabei – keinen zweiten Not-Fallschirm ... Ich muss nun also aufpassen, dass der Schweiß da nicht weiter unter die transparente Schutzhülle kriecht ... Also doch: Schlechte Vorbereitung beim 10. Marathonlauf :-( !



Weiter geht’s über die Wehrstraße, vorbei am Ende des Werdersees und vorbei am Naturschutzgebiet Neue Weser über das Weserwehr. Erinnerungen, wie ich hier vor 9 Jahren mit meiner Flamme eine erste, romantische Fahrradtour machte. Solche Gefühle der Verliebtheit bleiben für immer und ganz plötzlich und unerwartet schaltet das Gehirn sie wieder frei – nur weil die gleiche, damit erlebte äußere Umgebung plötzlich wieder da ist ...

Vor einer Rechtsbiegung zurück Richtung Osterdeich steht auf einmal Dieter - ein lieber Bekannter, jubelt und begrüßt mich und fotografiert – wie nett (!) – hatte ich ihm doch gar nicht Bescheid gesagt, dass und wann ich hier vorbei kommen würde ... Das ist ja voll die Freude und es geht so schnell, dass ich mich beim Laufen noch mal umdrehe und bedanken will, doch da sehe ich nur noch, dass Dieter – etwas ratlos und frustriert dreinblickend – nur in das Display seiner Kamera schaut – so, als wenn das Bild nix geworden ist :-) ...

Nach dem Osterdeich noch einmal eine Schleife zurück zur Weser und nun geht’s Richtung Peterswerder in die Stader Straße. Auch hier wieder schöne alte Erinnerungen – ich sehe genau vor Augen, wie ich hier früher öfters das Sperrmüll-Fest gefeiert habe, und auch die vielen Erinnerungen, als meine liebe Freundin in der Parallelschleife zur Stader Straße eine Wohnung hatte ...

Wir laufen weiter Richtung Kirchbachstraße und über die Kurfürstenallee. Hier, bei km 18, kommt Freude auf, als wir durch eine Unterführung laufen, in der ein einsamer Diskjockey seine laut aufgedrehte Beschallungsanlage aufgebaut hat. Super Aktion ...!

Weiter geht’s durch die Schwachhauser Heerstraße, genau vorbei am Haus meiner einzigen nahen Tante in Bremen. Aber sie hatte es nur geschafft, mir gestern einen ermahnenden Anruf zu geben, ihr eine geliehene Illustrierte zurück zu geben, anstatt mich jetzt hier zu unterstützen und zuzujubeln :-( ...

Als wir schließlich durch Schwachhausen Richtung Oberneuland laufen, merke ich konditionsmäßig endgültig, dass dieser Lauf für mich heute doch sehr anstrengend werden wird. Meine schnellen Trainingsläufe – zu kurz vor dem heutigen Event (s.u.) – fordern jetzt ihren Tribut :-( ...

Bei km 20 überholt mich der kleinwüchsige Mann wieder! Oh Mann, denke ich, die hatten alle eine bessere Energieaufteilung als ich - ich hätte doch niemals die ersten Kilometer immer eine Minute voraus laufen dürfen – auch dann nicht, wenn’s einfach lief wie geschmiert ...! Wie viele Marathonläufe werde ich noch laufen müssen, bis ich endlich diese Routine und Disziplin haben werde, mich am Anfang auch wirklich uneingeschränkt konsequent zu bremsen?!

Von jetzt an wird jeder Kilometer hart. Dennoch schmunzel’ ich, gebe mich in voller Akzeptanz meinem heutigen Schicksal hin und bleibe gut gelaunt. Noch bin ich „in der Zeit“ – und das für meine erste Zeittabelle mit der heute angestrebten idealen Endzeit von 3:20:00. Am Botanischen Garten ist der Wendepunkt zur zweiten Hälfte. Aber ich weiß ja sehr genau – das ist nur kilometermäßig die zweite Hälfte. Anstrengungsmäßig  (physisch betrachtet) dagegen – und darauf kommt es an – , beginnt die zweite Hälfte erst bei km 32 ...! Oh je, oh je – besser nicht dran denken ... Ich kämpfe jetzt schon von Kilometer zu Kilometer mit der Zeit, um den vorgesehenen Plan noch einzuhalten.

Immerhin haben wir ja jetzt schon auf der Universitätsallee km 25 erreicht. Mir erscheint das schon verdammt weit, wenn man betrachtet, wo ich gerade herkomme – vom Marktplatz in der Innenstadt – und gleich, am Universum, wird die Streckenführung ja wenigstens wirklich schon zurück gehen ... Das Universitätsgelände ist schnell passiert. Ein kurzer Rückblick in mein Leben sagt mir: Ich vermisse meine Zeit hier als Wissenschaftlicher Mitarbeiter nicht im geringsten ...! Weiter geht’s vorbei an diesem silbrig-glänzenden, größten Osterei der Welt. Endlich der Rückweg in die Stadt! Vorbei am „Haus am Walde“ bzw. Hotel „Zur Munte“. Ich kann’s ja kaum glauben, aber ich renne immer noch innerhalb der ersten Zielzeittabelle – allerdings wohlwissend, dass das nicht mehr lange gut geht ... Und dann kommt auch auf der Parkallee der Einbruch. 12 Sekunden Rückstand und ich werde nun nicht mehr versuchen, das wieder einzuholen. Das ist hoffnungslos, dafür habe ich keine Kraft mehr. Stattdessen erfolgt jetzt die erleichternde Umstellung auf die parallel aufgelistete zweite Zeitspalte mit der Endzeit von wenigstens 3:28 h. Egal, ich bleibe gut gelaunt. (Mir bleibt ja auch keine andere Wahl :-( ...).

Endlich geht’s rechts ab durch die Mitte des Bürgerparks. Das gibt mir emotional neue Hoffnung, denn der Park grenzt ja irgendwo schon an den Bahnhof und der ist ja nicht so weit vom Marktplatz. Aber Gedankenspiele wie diese sind natürlich Selbstbetrug, denn bis dahin wird es noch viele gnadenlos lange Parallelschleifen geben und jetzt wird erst km 30 kommen ...!

 




Wieder eine total schöne Abwechslung, die Strecke hier inmitten durch den Bürgerinnenpark zu führen. Dennoch, so richtig genießen kann ich das schon nur noch theoretisch – ich kann mir vorstellen, wie schön es seinkönnte:-) , also mental kann ich’s noch wahrnehmen und irgendwo genießen, aber nicht mehr physisch. Ich hangele mich von meinen Kräftereserven her schon nur noch von Kilometer zu Kilometer. Wie schade ... Viele andere Läufer und langsam auch Läuferinnen, die es besser konnten mit ihrer Kräfteaufteilung, beginnen mich jetzt zu überholen.

Findorffallee und Weidedamm stellen jetzt schon eine solche verlängernde Parallelschleife dar. Was für eine schöne Strecke! Eigentlich. Endlich Kilometer 30. Immerhin, und darüber bin ich echt froh, laufe ich ja – zwar sehr gebremst, aber doch normal weiter – mein inneres Leiden kann man mir äußerlich wahrscheinlich kaum ansehen, denn wenn da jubelnde Menschen sind, lächele ich sogar. Und ein richtiger „Mann mit dem Hammer“ ist das auch nicht – es geht ja weiter, irgendwie ... Es ist auch gar nicht so sehr die Gesamtkondition, die mich hier heute so jämmerlich einbrechen lässt – es ist die Beinmuskulatur, die nach dem Rennen in meiner Halbmarathonbestzeit vor nur zwei Wochen einfach noch nicht annähernd wieder voll regeneriert ist. Auf dem Weg von den Stadtteilen Findorff bis Walle habe ich das Gefühl, dass ich schon fast in Zeitlupe laufe – so langsam fühlt sich das jetzt an :-( ... Ein ganz kurzer, furchtbarer Gedanke bei km 32: „Wie war das, die zweite Hälfte eines Marathonlaufs beginnt physisch bei 32?!“ – Nicht auszudenken ... Dennoch, acht Minuten, die es jetzt in Richtung meiner zweiten „Notfall“-Zeittabelle runter geht, sind ein breiter Puffer, sodass meine augenblickliche Zeit ja immer noch eigenartig passabel erscheint ...

Durch Walle sind wir schnell durch; jetzt geht’s schon zum Speicher 1. Der ganz kleine Mann mit den flinken Beinen überholt mich wieder – und diesmal sicherlich zum letzten mal ...! Nun geht es hoch über eine Rampe IN das Speichergebäude. Was für eine Überraschung. Ich dachte schon, jetzt geht’s vielleicht durch eine Diskohalle mit viel buntem Licht und lauter Beschallung – so was gibt’s ja auch manchmal, aber nein, dies ist nur ein kurzer Tunnel durch das Gebäude und da ist schon wieder Tageslicht am anderen Ende und da sind schon wieder viele wartende Schaulustige. Überhaupt – heute stehen ja etliche zujubelnde Menschen an der Strecke :-) ! Nur mein guter Freund W. nicht, obwohl der sich angekündigt hatte und von mir mit allen erforderlichen Streckendetailinformationen versorgt wurde, aber der schnarcht zu Hause besoffen und schafft es nicht mehr, mich hier zu unterstützen. Und jetzt bräucht’ ich’s am meisten ... Und nun sind wir zurück an der Weser. Na ja, da kommt doch Hoffnung auf. Doch ich kann nichts mehr schönreden - die letzten 10-12 km zurück ins Ziel sind heute nur noch eine einzige Qual.

 Es geht jetzt schnurgerade an der Weserpromenade entlang. Sehr, sehr langsam. Dennoch bin ich ja froh und fast stolz, dass ich – bei meiner gegenwärtigen, körperlichen Verfassung – mich immer noch „normal“ laufend – jedenfalls nicht gehend – fortbewege. Geradeaus vor mir kann ich am Horizont in der Sonne schimmernd schon den Bremer Dom, zurück am Marktplatz, erkennen. Da könnte ja fast Hoffnung aufkommen ... Doch ich weiß, dass das eine Illusion ist, denn meiner düsteren Erinnerung zufolge müssen wir vorher noch einmal wieder bis zum Weserstadium und zurück laufen!

Ich schleppe mich weiter bis zur Schlachte. Viele, viele jubelnde Menschen. Unter anderen Umständen könnte ich die Atmosphäre und das Panorama hier sehr genießen, doch ich kann es nicht mehr. Ich bin schockiert, als ich an der Schlachte plötzlich das Schild sehe: Km 34. Ich schaffe die Rechenleistung, dass es also noch (über!) 8 km sind. Acht Kilometer! Wie soll ich das denn schaffen?! Gehend vielleicht ... Alles tut weh, ich bin schon total ausgepowert. Hand auf’s Herz: Wer hat als Marathonläufer/in nicht schon mal in einer solchen Phase mit Engelchen und Teufelchen im Kopf gespielt: Das Teufelchen sagt: „Vergiss doch einfach die lange, letzte, vor Dir liegende Parallelschleife und bieg’ in einer U-Wende schnell in einem unbemerkten Moment nach links ab und in 5 min bist Du im Ziel und erlöst! Merkt doch eh keiner!“ Und immer siegt das Engelchen mit dem noch besseren Argument, dass dein schlechtes Gewissen es dir nicht ermöglichen wird, deinen erschwindelten Abkürzungs-Sieg feiern zu können :-( ...

Ich schleppe mich weiter entlang der Martinikirche, unter der Wilhelm-Kaisen-Brücke durch, bis zur südlichen Weserpromenade. Während meine Streckenzeit immer noch erstaunlich gut ist – noch lange nicht an der inzwischen maßgeblichen Tabelle dran. Es geht ja jetzt dadrum, wenigstens unter 3:30 zu laufen. Falls möglich ...! Gesagt, gedacht, und da überholt mich ganz langsam eine Gruppe mit dem Pacemaker mit dem gelben Ballon und der Zielzeit 3:30 drauf! Das ist meine Chance – da bleib’ ich jetzt dran – koste es, was es wolle ...!

Zurück am Wasser sehe ich meinen Freund Hans Edgar stehen :-) – wie schön! Ich hatte gerade beschlossen, aufzugeben und spazieren zu gehen, aber nein – jetzt geht es plötzlich wieder :-) . Da ist es, sein bekanntes Begeisterungsvermögen! Dennoch bin ich von seinem Jubel überrascht, ja, überwältigt! Und ich laufe wieder rund – dank dieser phänomenalen Unterstützung. Ich weiß ja jetzt auch, dass ich ihn nach der vor mir liegenden, mörderisch-langen Parallelschleife bis zum Weserstadion, oben am Osterdeich wieder sehen werde. Also klammer’ ich mich an den 3:30-Ballon-Mann und laufe weiter. Es geht. Fragt mich nicht wie, aber es geht, irgendwie. Wir erreichen schließlich besagtes Stadion bei km 38. Wir laufen endlich wieder hoch zur großen Deichstraße. Nun geht es erstmals wirklich direkt Richtung Ziel – ein erlösendes Gefühl. Immer dran bleiben, an der 3:30-Gruppe, immer dran bleiben! Kilometerweit renne ich jetzt direkt neben dem Pacemaker und lasse mir dabei meine Schmerzen und mein Leid nicht anmerken. Und da ist wieder Hans Edgar! Ich schaffe es noch, den Satz rauszupressen: „Komm’ ins Ziel, wir gehen essen!“ Doch er lässt sich mit so etwas nicht so einfach abschütteln, sondern läuft bestimmt 500 m – und mich dabei stetig fotographierend – neben mir her! 

 


Er, in voller Straßenmontur und ich im athletischen Singlet ... Ich denke mir: „Wann bleibt der denn noch mal stehen? Oder wird er mit mir jetzt so bis ins Ziel laufen? Bin ich wirklich schon soo langsam?“ Doch irgendwann bleibt er stehen. Schöne Aktion – Freude.

Das alte Polizeipräsidium, die Unterführung zur Martinistraße. Nur noch 2 km. Niemand würde jetzt aufgeben – jetzt zieht einen das Ziel und man läuft, wie ein Roboter ... Ich werde das schaffen – immer noch unter 3:30 – das ist phänomenal, dafür, wie es heute gelaufen ist! Ich laufe nun sogar der Pacemaker-Gruppe davon. Endlich wieder rechts rum und nun in Gegenrichtung in die finale Gasse zum Ziel.





Noch nie war diese Obernstraße so lang ...! Wegen den tausenden, jubelnden Menschen hier, nehme ich nun zum ersten mal meine Iron-Maiden-Beschallung vom Ohr. Das wird eine gute Zeit – das wird sogar 3:28! Allerdings ist es mir jetzt völlig egal, ob ich die paar Sekunden schnell genug bin, um meine echte persönliche Bestzeit von Christchurch 2008 zu schlagen, oder nicht. Ich bin jetzt sehr, sehr zufrieden und jeder Ehrgeiz hat seine Grenzen. Die letzten 200 m ziehen sich noch mal ganz schön lang. Wie immer, mit hoch in den Himmel gestreckten Armen. Und plötzlich bin ich durch und alles ist vorbei
:-) .


Phantastisches Gefühl. Welche Erleichterung! Welche Erschöpfung. Besser als jede andere Droge, denke ich mir. 3:28:29.

Wieder einmal schleiche ich jetzt wie ein alter Mann vorwärts, während mir jemand einen Orden mit einer knallroten Schleife umhängt. Hunger, Durst, wo gibt es etwas zu trinken?! – Dort, es gibt kühles Bier!

 


 

Hefeweizen, alkoholfrei. Ich nehme gleich drei. Und da ist wieder Dieter – welche Freude! Gratulation. Er fotographiert mich in meinem erbärmlich-schwachen, schwitzenden und glücklichen Zustand und schwingt mir seine wärmende Lederjacke um. Wir sitzen jetzt auf den Domtreppenstufen und von denen werde ich ohnehin nicht wieder hochkommen. Also versorgt mich der gute Dieter mit Brezeln, Kuchen und er organisiert auch meinen Kleiderbeutel für mich. Das ist sehr erlösend, denn ich bin mächtig dehydriert und durchgefroren – einige Finger werden bereits gelb, wie bei einer steifen Leiche – und ich brauche dementsprechend dringend einen warmen Pullover. Und da kommt Hans Edgar – Ich brauche ihn gar nicht anzurufen :-) - er hat mich also auch gefunden! Toll, in manchen Situationen, Freunde zu haben! Ich glaube, diese bewahren mich hier mal wieder vom Besuch des Erste-Hilfe-Zeltes. Wir werden jetzt zum Bonner (:-) .




Fazit: Es war kein Ruhmeslauf für mich heute – zumal als Jubiläum (wie könnte es das sein, bei der Qual des letzten Viertels?). Doch ich weiß sehr genau, woran es gelegen hat. Aus solchen Missgeschicken gilt es also wieder für die Zukunft zu lernen. Und diesen Umständen entsprechend bin ich hoch zufrieden und eher sehr überrascht, dass es wieder die alte „PB 2008“ war!


1.) Marathondebüt in Berlin mit Wunschzeit durch Magic

 

© Roland Stern 2004

Frisch vom Berlinmarathon 2004 zurück zu Hause möchte ich meinen Glücksgefühlen und meinem Dank dafür in Form eines kleinen Erlebnisberichts Ausdruck geben. Ich bin Roland aus Bremen, 185 cm, 79 kg, mit jugendlichen 37 Jährchen nennt man mich auf offiziellen Laufveranstaltungen leider Senior. Egal, das Tolle am Laufen ist für mich, dass man in jedem Alter einsteigen und sich individuell mess- und fühlbar verbessern und jung und heftig fit fühlen kann und dabei ´ne Menge klasse Sightseeing- und Gruppenerlebnisse unter freiem Himmel haben kann.

Wann hab´ ich mit dem Laufen angefangen? – Weiß ich nicht mehr – wahrscheinlich als Jugendlicher im Sportunterricht. Dabei hab´ ich dann schon gemerkt, dass ich der typische Langstreckenelefant bin – das fiel mir immer leicht mit guten bis sehr guten Zeiten, Schnellkraft hab´ ich dagegen überhaupt nicht. Jahre später hab´ ich das Laufen dann freiwillig als Liebeskummerbekämpfungsmittel (Gegengift Endorphin) und zur damit verbundenen Selbstwertregeneration wieder aufgenommen, unregelmäßig immer eine 10 km-Distanz oder – je nach Stärke des Frusts auch vor rund 10 Jahren mal ein halbes Jahr lang jeden Tag 10 km. Über diese Streckenlänge auf schönen Rundkursen in der Natur, stets an Flussufern, Seen oder in Parkanlagen, ging es aber nie hinaus. Vor genau 1 Jahr habe ich dann ein regelmäßiges Laufen begonnen: Jedes Wochenende 1 x wieder die Standard-10,5 km-Distanz incl. eines Berges am Ende in ca. 54-58 min. So blieb es ein ¾ Jahr lang. Ein bisschen frustriert war ich aber doch, da trotz dieser regelmäßigen „sportlichen Arbeit“ auch alles andere unverändert blieb: Ich fühlte kaum einen Trainingsfortschritt, es strengte mich alles immer gleich an und auch an meinem Gewicht mit 10/2003 deutlich über 90 kg tat sich eher gar nichts.
Nun gab es aber die glückliche Fügung, dass es mir irgendwie gelang, auf die jetzige Breitensport-Running-Begeisterungswelle mit aufzuspringen. Etwa drei Einflüsse trugen entscheidend dazu bei:

1. Die bekannte vierteilige TV-Sendung „Von null auf 42“, in der sieben absolute Nichtläufer/innen, z. T. extrem übergewichtig, innerhalb von einem Jahr, u. a. vom ehemaligen Weltklasseläufer Dr. Thomas Wessinghage, auf den New York-Marathon trainiert wurden. Alles „Leute wie du und ich“ in einem bunten Bevölkerungsquerschnitt und als ich dann sah, welchen Spaß die dabei hatten, WIE positiv sie sich veränderten (bestes Beispiel der über 60-jährige Berliner Architekt Mücke, der 25 kg Fett verlor und ein völlig neues Leben kennen lernte) und sie es dann alle sieben schafften, da kam bei mir zum ersten Mal dieser „Wenn die das können, ...“-Effekt. Ebenso motivierend war dann auch noch eine TV-Sendung in der Reihe „Planet Wissen“: „Marathon – zwischen Schmerz und Euphorie“, mit Herbert Steffny, der auch Joschka Fischer trainiert hatte.

2. Durch Zufall bekam ich beim Besuch einer Bekannten das Buch des Letztgenannten „Mein langer Lauf zu mir selbst“ in die Hand, das ich in drei Tagen regelrecht „verschlungen“ hatte.

3. Ein alter Freund mailte mir ebenso zufällig (?) exakt zum richtigen Zeitpunkt aus Spanien mit der Frage: „Was hältst Du davon, wenn wir den Berlinmarathon zusammen laufen würden? Und wenn schon, denn schon - ein Finisher-T-Shirt mit der Aufschrift „Berlinmarathon“ sieht doch wohl besser aus als „Kaiserslauternmarathon“ oder so, oder?!“

OK – ursprünglich war´s natürlich schon immer mal so´n geheimer Traum, irgendwann im Leben mal einen einzigen Marathon zu laufen (Vorgriff: gerade plane ich schon die nächsten ...), aber wenn dieser Bär, der 5x in der Woche regelmäßig 10 km läuft plus Krafttraining absolviert, mich auffordert, dann gibt´s wohl kein Zurück mehr. Und heute weiß ich, dass es nicht funktioniert, wenn Du Dir sagst „Zuerst muss ich gut genug trainiert sein - wenn ich einmal die Zeit dazu haben werde – dann werde ich das irgendwann machen ...“, sondern das Leben läuft genau anders herum: Du brauchst zuerst die entsprechende Motivation und ein Ziel und dann wird der Weg dorthin verblüffend leicht ... In den folgenden Tagen begann ich also mal in einer stillen Minute, im Internet zu stöbern. Dort war ich völlig überrascht, wie leicht es Dir da alles gemacht wird: Streckenbeschreibung, sportmedizinische Beratung, Tipps zu allen denkbaren und undenkbaren Fragen im Forum, Online-Anmeldung und: Trainingspläne zu jeder gewünschten Zielzeit, kostenlos zum Sofort-Ausdrucken ...! Da entdeckte ich also schnell meinen idealen Wunsch-Plan mit meiner angestrebten Zeit von 4:30:00

( www.lauftipps.de/trainingsplaene/berlin_training_1_4_fort.php ) und stellte fest, dass ich, wenn ich wenige Tage später damit beginne, noch genau die erforderlichen 16 Wochen Zeit habe. Passte also alles ideal.

Nun nahm alles seinen fast automatischen Lauf: Überall begeistert Infos einholen, Fußvermessung und Laufbandvideoanalyse im Sportschuhladen und endlich mal richtig gute Laufschuhe kaufen, Pulsfrequenzuhr, verschiedene Herzfrequenztrainingszonen, Termine für Volksläufe, Anmeldungen, regelmäßiges Training, Ernährungsbewusstsein, kardiologische Untersuchung, ein wenig Funktionsbekleidung, Trinkgurt, Elektrolytgetränke und Carboloading usw. – immerhin fast alles Dinge, die mir wenige Wochen zuvor noch völlig fremd waren ... Und seit ich nun 3 bis 4 mal die Woche laufe, habe ich schlagartig rund 12 Kilo abgenommen – plötzlich hatte ich ein Gewicht, wie seit 15 Jahren nicht mehr. Das ging, ohne dass ich dies überhaupt primär angestrebt hätte, so schnell, wie ich es selbst nie für möglich gehalten hätte!

Innerhalb von einem Jahr hatte ich nun über 1000 Trainingskilometer und 15 Halbmarathonläufe hinter mir und ich war ja auch vor diesem Jahr kein absoluter Nichtläufer gewesen. Der 16-Wochen-Trainingsplan war für mich kräftemäßig problemlos, lediglich vom Zeitaufwand her hatte ich manchmal das Gefühl, diesen Plan nur in letzter Sekunde zu erfüllen und etwas hinterher zu hinken, da es doch ungewohnt viel Freiraum erfordert. So musste ich – getreu J. Fischers Berichten – durchaus auch schon mal im Dunkeln oder im Wolkenbruchregen laufen. Vom Planumfang her habe ich dennoch immer etwas mehr als vorgesehen gemacht (z. B. mit viel Abwägung und Tüftelei zusätzlich noch einen zweiten 30 km-Lauf reingebastelt) und ich war auch oft mühelos schneller als vorgesehen.

Eine Woche vor Berlin lief ich als letzten Test noch mal den Norderney-Halbmarathon. Es lief alles wunderschön, genau wie ich mir das gewünscht hatte: Super Wetter, traumhafte Insellandschaft, exakt die mittelschnelle Wunschzeit usw. Unvorhergesehen war lediglich, dass ich, eine Stunde nach dem Zieleinlauf – zurück an der Fähre – kurz in Ohnmacht gesackt bin: Mitten im Gespräch mit einem netten Mitläufer aus Bielefeld (GRUSS!) wurd´ mir dunkel vor Augen und ich war für wenige Sekunden weg. Die Leute um mich rum zogen mich wieder hoch und gaben mir gute Erklärungen: Ich hatte die ganze Zeit während des anstrengenden Anstehens an der Fähre eine schwere Sporttasche über der linken Schulter und mir damit vermutlich die Halsschlagader unbemerkt etwas abgedrückt. Außerdem hatte ich vermutlich diesmal insgesamt zu wenig getrunken und darüber hinaus 2 Nächte vorher jeweils nur 5 Std. geschlafen ... Nun, dieses Erlebnis war also noch mal eine gute Warnung.


Dann kam also der große Tag in Berlin. Extra zwei Tage zuvor entspannt angereist und am Mittag vorher einsam im Stadion am Mauerpark noch mal 4 km getrabt, fühlte ich mich am Morgen auch insgesamt sehr fit und sehr gut vorbereitet. Ich hatte eine riesen Vorfreude und war entsprechend gut gelaunt. Der Nieselregen trübte das überhaupt nicht. Der einzige Stress vor dem Lauf war, dass es aufgrund des bekannten Nervositäts-Stuhlgangstreibungsphänomens viel zu wenig Dixie-Klos gab, und wenn man nach 30 min völlig angespanntem in-der-Schlange-Stehen eins erreichte, dann war das auch noch dichtgeschissen und es gab kein Toilettenpapier mehr, sodass z. B. ich stattdessen meine Unterhose opfern musste (hier also eine erste Kritik an den Veranstalter!).

Genial war für mich die Möglichkeit der Zug- und Bremsläufer (Pacemaker). Da ich wusste, dass meine Zielzeit, wenn alles gut geht, irgendwo zwischen 4:00 h und 4:30 h liegen müsste und ich im Training wie gesagt auch deutlich schneller sein konnte als der Plan und eine Halbmarathon-Bestzeit von 1:49 h aufweisen konnte, war 3:59:59 h mein geheimer Traum. Allerdings wusste ich ganz und gar nicht, ob das nach nur 16 Wochen intensivem Training und beim ersten Marathonlauf überhaupt möglich sein würde. Bis Km 30 hatte ich im Training das erforderliche Tempo bereits geschafft, aber dann war ich schon sehr erschöpft gewesen und dann noch mal 12,195 km im gleichen Tempo dazu?! – Keine Ahnung. Daher blieb es so spannend. Ja, ja, ich weiß – beim ersten mal zählt nur Ankommen. Aber ich wollte es – zumal hier beim großen Berlinlauf – unbedingt ambitioniert versuchen. Wo sollst du denn sonst hin mit der großen Euphorie, wenn sie denn nun einmal da ist?! Und ich finde, man braucht immer ein Ziel, eine Herausforderung. Was wäre das Leben ohne Ziel?! Sollte ich es nicht erreichen – auch OK. Dann hätte ich für mich und mein Wohlbefinden längst genug gewonnen ... Jedenfalls hatte ich mich beim Start dem Pacemaker „Magic“ aus´m Internet-Forum angeschlossen. Das war gar nicht ganz so einfach, denn der startete heute zwei Startblöcke weiter vorne, wo ich – ohne irgendeine nachweisbare Marathonzeit – ja eigentlich gar nicht hin durfte ... Aber Dank des großen gelben Zielzeitballons war er wunderbar zu finden.
Und ab dann machte es alles einen Riesenspaß. Magic war voll nett und gut drauf und machte anfangs viele Witzchen und Spirenzchen und lockerte damit alles total auf. Später betreute er seine Gruppe richtig klasse – fragte immer wieder nach dem Befinden, versorgte Einzelne mit halben Bananen, leistete psychische Aufbauarbeit und machte ganz nebenbei seinen präzisen Timingjob.

Von den Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke habe ich ehrlich gesagt nicht allzu viel mitbekommen. Für mich lief der ganze Lauf eher wie ein schneller, großer Rausch, wie ein berauschender Film, an mir vorbei. Oft war es auf der Strecke sehr eng und es war immer wieder eine anstrengende Zickzacklaufarbeit, langsamere Leute zu überholen und das erforderte dann auch höchste Konzentration, um Kollisionen oder Schlimmeres zu vermeiden. Anstrengend wurde´s zeitweise auch an den Getränkestationen, wo es oft ein panisches Gedränge gab, wenn sich Einige zu spät überlegten, dass sie doch noch etwas trinken wollen und dann plötzlich quer rechts rüber liefen. Bei diesen Menschenmassen hier, denke ich, müsste man die Tische der Getränkeausgabe leider noch deutlich verlängern (zweite Kritik).
Nach der Norderneyerfahrung hab´ ich dieses mal extrem viel getrunken, sowohl am Tag vorher 3-4 l, als auch während des Laufes an absolut jeder Station, vorzugsweise Gatorate (ab Km 17 erhältlich). Wir liefen konstant das Km-Tempo 5:30. Bis zur Halbmarathondistanz war das für mich ganz easy. Ab Km 27 wurde es schon deutlich anstrengender, denn dann schmerzten die Füße großflächig nicht zu knapp. Das hörte dann glücklicherweise irgendwann wieder auf.

Zum Teil hatte ich jetzt extreme Glücksgefühle. Ich war zu Tränen gerührt, wenn ich kleine Kinder mit einem Schild „Du schaffst das, Papa!“ in der Hand sah. N´ bisschen netter, als die anderen Schilder, wie z. B. „Quäl Dich, Du Sau!“. Oder wenn ich die vielen Angehörigen am Straßenrand sah, die da angestrengt blickend stundenlang ausharrten und manchmal plötzlich den einen Vornamen schrien – da konnte man richtig spüren, was eine schöne Beziehung, was Liebe ist.

Und auch ein ganz ganz großes Kompliment an die Unmengen von aplaudierenden und anfeuernden Zuschauer/innen, die Musikbands und die staunenden engagierten Helfer/innen – lasst Euch alle gesagt sein: Das „trägt“ uns ungemein! Bei einem besonders schönen Anfeuern, z. B. durch das Rufen des eigenen Namens (am Trikot befestigen!) geht der Puls sofort ein Stück höher und du läufst sofort ein bisschen schneller und schiebst alle Zweifel zur Seite ...


Bei Km 36 motivierte mich Magic durch sein stetes Interesse: „Und, Roland – wie sieht´s aus? Mensch Du bist ja immer noch voll dran – Du bist ja echt ein zäher Hund!“ Ich antwortete: „Na ja, ich war schon mal entspannter“, denn nun wurde das immer gleiche Tempo, das zu Beginn ein angenehmes Traben oder Joggen gewesen war, echt heftige Arbeit. Er dann aufmunternd: „Klar, wenn Du jetzt noch entspannt wärst, würde auch irgendwas nicht stimmen!“ Also ging´s konstant anstrengend weiter.

Der berühmt-berüchtigte „Mann mit dem Hammer“ kam überhaupt nicht – was war ich froh, als ich bei Km 37 realisierte, dass „diese Sau“ mich verpasst hatte!

Bei Km 40 fragte Magic erneut: „Und, Roland – wie isses?!“ Ich: „Scheiße – ich weiß gar nicht, wie ich das durchhalten soll ...“ (wir sahen bereits in der Ferne das Brandenburger Tor). Er fragte dann ganz besorgt: „aber Du hast doch jetzt nicht eine Krise oder so?“ Ich: „Nee, aber es ist Quälerei. Es ist heftig!“ Wir liefen jetzt seit 2 km immer konstant nebeneinander. Sollte ich jetzt abfallen und meine Traumzielzeit aufgeben?! Jetzt, wo der Jubel der Massen auf dem Prachtboulevard immer größer wurde?!

Und dann, bei Km 41, griff Magic weit in die Tiefe seiner psychologischen Motivationskiste und sagte: „Jetzt hör´ mal zu: Du läufst gerade eine SUPER Zeit. Wir haben eine Minute Puffer für unter 4 Std. Du läufst jetzt alleine voraus durch dieses befickte Brandenburger Tor – das ist ein GÖTTLICHES GEFÜHL – und die letzten 195 m danach sind für Dich ein WITZ! Und dann sehen wir uns im Ziel wieder! Los, hau ab!“ – Also wurden die allerletzten Kräfte mobilisiert – und: Er hatte Recht! Da waren mit erhobenen Armen diese 3:58:54 netto!!! Und Menschen, die sich gerade 4 Std. lang kannten, lagen sich fest in den Armen ...

Danke, Magic, Danke, Danke, Danke – ohne Dich hätte ich das nie geschafft. Nun hab´ ich´s auf der Urkunde, und eine 3 vor´m Komma beim Marathon-Debüt ist ja doch was anderes ...

Im Rückblick war´s für mich ein mächtiger Lauf – eine mächtige Distanz (denn es war ja bislang der längste Lauf meines Lebens) in einer gewaltigen Menschenmenge über mächtige Boulevards in einer mächtig wirkenden Großstadt.

In Erinnerung bleiben wird sicherlich auch noch, dass ich anschließend eine Stunde im Erste-Hilfe-Zelt verbracht habe: An diesem kühlen, feuchten Septemberendetag war ich nach dem Lauf, als statt Tee nur kühle Getränke serviert wurden (dritte Kritik am Veranstalter!) im Schneckentempo unter Tausenden Richtung entsprechend entfernten warmen Duschen, wie viele andere mit mir, völlig unterkühlt und wurde dann von den Sanitätern - in Folie und Wolldecken eingepackt - wieder auf Normaltemperatur gebracht. Insgesamt aber eine beeindruckende Organisationsleistung an diesem Tag und viele schöne Erinnerungen für’s Leben!

© Roland Stern 2004

 

dusano